Handelt es sich bei der regionalen Architekturentwicklung um eine grundlegende Pflicht oder notwendige Kür? Dieser Frage  ging am Sonntag, 14. September 2014, ein hochkarätig besetztes Podium in Zwickau im Rahmen der Veranstaltung „Architekturmarkt Chemnitz/Zwickau“ nach. Auf dem Podium diskutierten Dr. Pia Findeiß, Oberbürgermeisterin der Stadt Zwickau, Petra Wesseler, Bürgermeisterin für Bau und Stadtentwicklung der Stadt Chemnitz, Bert Hoffmann, Architekt und Geschäftsführer der  BAUCONZEPT PLANUNGSGESELLSCHAFT mbH, Rainer Enke, freier Architekt und Vorsitzender der Kammergruppe Chemnitz der Architektenkammer Sachsen und Sebastian Kriegsmann, freier Architekt 6-15-6 büro für architektonisches design.

Rolle der Architekten

Einigkeit herrschte bei den Gesprächsteilnehmern, dass Kommunen und Architekten gegenüber der Bevölkerung eine hohe Verantwortung tragen ein qualitativ hochwertiges Lebensumfeld durch eine durchdachte und mutige Stadtentwicklung bzw. anspruchsvolle Architektur zu schaffen. Sowohl die städtischen Vertreterinnen als auch die Architekten stimmten darüber ein, dass eine gute Stadtentwicklung nur möglich sei, wenn Architekten sich in einem stetigen Dialog befinden und mit der Stadt Hand in Hand arbeiten. Petra Wesseler betonte in diesem Zusammenhang, dass professionelle Architekten in der Verantwortung stehen, den öffentlichen Raum der Städte zu verbessern, indem sie die Kommunen durch ihre Beratung und Vorschläge kompetent und visionär unterstützten. Bert Hoffmann erklärte, dass es die Pflicht von Architekten sei, Träume zu entwickeln. Allerdings bräuchte es für die Realisierung der Träume dann gute Partner. So könnten Architekten zwar Dinge mit Stift, Papier und Modellen anschieben, die Verwirklichung einer lebenswerten Stadt hinge letztlich jedoch an starken Partnern wie einem kompetenten Tief- oder Hochbauamt, einem weitsichtigen Stadtplanungsamt und nicht zu Letzt einem intelligenten Stadtrat, der die Bedeutung seiner Entscheidungen einzuordnen wisse.

Stadtentwicklung Chemnitz & Zwickau

Die Entwicklung ihrer Kommunen in den vergangenen Jahren bewerteten sowohl Oberbürgermeisterin Dr. Findeiß als auch Petra Wesseler als weitestgehend positiv. Wesseler erklärte, dass sich Chemnitz nach der Wiedervereinigung vor die Entscheidung gestellt sah, die Innenstadt historisch zu rekonstruieren. Bewusst hätte man sich damals gegen eine Nachverdichtung der historischen Altstadt entschieden und für die Entwicklung einer neuen Architektursprache, die jedoch der alten Typologie folgte und sich an den alten Stadtgrundriss hielt. Dies erachtet sie rückblickend für die richtige Entscheidung und bewertet die entwickelte Architektursprache als gelungen. Mit den neuen Gebäuden, wie etwa dem Haus der Galeria Kaufhof, habe es die Stadt vermocht, nicht einfach nur altes zu reproduzieren, sondern Adapter zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart zu schaffen und so die Identität der Stadt im öffentlichen Raum widerzuspiegeln.

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Foto: Klaus Fischer (Kunstverein FAK)

Wesseler merkte an, dass bei der heutigen Haushaltslage der Kommunen, die Sicherung von historisch bedeutsamen, für die Identität einer Stadt wertvollen und für die städtebauliche Entwicklung zentralen Gebäude, oft nicht mehr möglich sei. Regionale Architekturentwicklung sei daher heute häufig leider nur noch Kür und nicht mehr Pflicht. Als Beispiel nannte sie das Zwickauer Kaufhaus Schocken. Dieses spielt für die Innenstadtentwicklung Zwickaus eine wesentliche Rolle und steht seit einigen Jahren leer. Der Kommune Zwickau fehlen jedoch die finanziellen Mittel, um das Gebäude vom privaten Eigentümer zu kaufen.

Wie auch Wesseler betonte Dr. Findeiß die Bedeutung von Identität bei der Stadtentwicklung. Diese sieht sie u. a. in historischen Gebäuden verhaftet. Sie erklärte, dass es jedoch nicht prinzipiell sinnvoll sein kann, Denkmäler aufzubauen. Die Oberbürgermeisterin erkennt hierin nur einen Sinn, wenn die Gebäude nach der Restaurierung auch genutzt werden bzw. wirtschaftlich sind. Als Bespiele nannte sie den mittelalterlichen „Niederen Kornspeicher“ in Zwickau, den jüngst die städtische Bibliothek bezog. Maxime der Zwickauer Stadtplanung ist die Innen- vor Außenstadtentwicklung sowie das generelle Anliegen, Räume zu schaffen. Dies bedeutet für Dr. Findeiß, dass neben der Wohnraumentwicklung gleichermaßen auf die Schaffung von Infrastruktur, Parks und eines kulturelles Angebot gesetzt werden muss. Dies sieht sie in Zwickau realisiert. Durch geschicktes Planen sei Zwickau heute etwa wieder eine Stadt am Fluss. Die Lebensqualität der Bewohner  habe sich dadurch merklich verbessert.

Während zwar beide Bürgermeisterinnen die Entwicklung ihrer Städte lobten, verwiesen sie auch auf etwaige Schwachstellen in der Innenstadtentwicklung. Im Falle von Chemnitz benannte Fr. Wesseler z. B. das Conti-Loch. Dr. Findeiß sprach von weiterhin vorhandenen „Narben “, wie der Zwickauer Hauptstraße die ohne weiteres mit dem Chemnitzer Brühl verglichen werden kann. Weniger negativ empfindet Rainer Enke die noch offenen Bauflächen in den beiden Innenstädten. Er sieht hierin ein großes Potential für die Städte, da sie viel Platz bieten. Er fordert daher eine mutige Entwicklungspolitik der Kommunen. Im Falle der Stadt Chemnitz wünscht Enke sich bspw. mehr Einsatz für die Schaffung eines grünen Gürtels, der sich vom Zeisigwald über die Augustusburger Straße, das Conti-Loch und den Schlossteich hin zum Küchwald ziehen könnte und den Bewohnern ein Mehr an Lebensqualität bieten würde.

Junge Architekten & Ausbildungssituation in der Region

Für eine mutige und innovative Entwicklung von Städten spielen für Sebastian Kriegsmann junge Architekten eine besondere Rolle. Seiner Meinung nach bringen sie aus der Ausbildung eine frische Perspektive und Visionen mit. Für junge, frei schaffende Architekten sei es jedoch häufig schwer, sich gegenüber der Stadtverwaltung Gehör zu verschaffen; sie bräuchten viel Durchhaltevermögen. Es käme daher nicht nur den Städten und ihren Bewohnern, sondern auch den jungen Architekten zu Gute, würden die Kommunen häufiger auf eine engere Zusammenarbeit mit ihnen als etablierten Architekten setzen.

Die für 2015 beschlossene Verlegung der Fakultät für Architektur in Reichenbach der Westsächsischen Hochschule Zwickau nach Leipzig bewertete das Podium durchweg als nachteilig für die Region.  Dr. Findeiß erachtet es prinzipiell als ein schlechtes Zeichen, eine Fakultät zu schließen, die sich bestens etabliert hatte, sich stets im Spitzenfeld von Hochschulrankings befand und ausgezeichnete Absolventen hervorbrachte. Hoffmann betont die Gefahr, dass Abiturienten aus der Region nach Abschluss ihres Architekturstudiums, dass sie nun in Städten wie Weimar oder Coburg absolvieren würden, nicht mehr in die Region zurückkehren würden. Dieser Aderlass wird seiner Meinung nach bald in der Region spürbar sein. Unverständnis ruft der Beschluss bei Kriegsmann hervor – schließlich sei es gerade die Kultur- und Kreativwirtschaft, und somit auch Architekten, die wichtig für die Entwicklung einer Region sei. Die Stadt Zwickau verliere durch die Schließung der Fakultät unverzichtbares Potential. Zu einem ähnlichen Urteil kommt Wesseler, die von dem Entschluss erstmals während der Podiumsdiskussion erfuhr und sich schockiert zeigte: Sie sieht den Entwicklungsvorsprung, den Zwickau gegenüber Chemnitz stets durch seine kreativen Hochschulbereiche in Reichenbach und Schneeberg hatte, drastisch schwinden. Für Enke spiegelt die Situation das generelle Strukturproblem wider, das in der Region herrscht – überhaupt seine zu wenige Studiengänge vorhanden, die Kreative hervorbringen und die doch so notwendig für die Entwicklung und den Wachstum von Chemnitz und Zwickau sind.

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion fand die Finissage der Ausstellung “Architektur bewegt & Zwickau 2050” statt. Zehn Architekten, allesamt Mitglieder des Kunstverein FAK, schlugen in der Ausstellung „Architektur bewegt“ mit ihren Arbeiten eine Brücke zwischen Kunst und Architektur. Ebenso spannend, die von gut 20 Architekten bearbeitete urbane Zukunftsinitiative „Zwickau 2050“, die im Kunstverein FAK zum ersten Mal präsentiert wurde. „Zwickau 2050“ beschäftigt sich dabei mit den Bereichen – Bildung & Kultur, Energie & Gewerbe, Grün, Wohnen und Verkehr. Es bot sich außerdem gute Gelegenheit zum Netzwerken und für weitere, informelle Diskussionen mit den Podiumsgästen.

Kreatives Chemnitz dankt dem Kunstverein Freunde Aktueller Kunst e. V. für die Unterstützung in der Veranstaltungsdurchführung.