Unsere fünfte Podiumsdiskussion am 14.07.2014 in der Spinnerei Chemnitz zur Vernetzung Kultur- und Kreativschaffender in der Region Chemnitz war ein voller Erfolg: rund 80 Gäste kamen bei bestem Wetter zur Veranstaltung und verfolgten die Diskussion. Bis in die Nacht wurde diskutiert und genetzwerkt.

„Uns hat die vergangene Podiumsdiskussion erneut gezeigt, wie groß der Bedarf nach Austausch zwischen Akteuren der Kultur- und Kreativwirtschaft ist. Besonders freut uns, dass auch viele Akteure des Chemnitzer Musikmarktes im Publikum saßen und sich stimmgewaltig in die Diskussion einbrachten“, so Frank Müller, Vorstand von Kreatives Chemnitz – Branchenverband der Kultur- und Kreativwirtschaft Chemnitz und Umgebung e. V.

Die Hintergründe und Positionen der Podiumsgäste im Überblick:

Thomas Keßler aka X-Plosive ist klassisch ausgebildeter Pianist und spielte früher in einer Jazzband. Seit seinem 25. Lebensjahr ist er als Musik-Produzent tätig.

Da Keßler um die Schwierigkeit wusste, im Musikgeschäft Fuß zu fassen, hat er sich bewusst für ein Studium entschieden. Er wollte sich absichern, sollte der Einstieg als Produzent doch nicht gelingen. Mittlerweile lebt Keßler von seiner Arbeit als Produzent und war schon an einigen erfolgreichen Produktionen beteiligt. So produzierte er etwa Tracks auf Bushidos Album „Heavy Metal Payback“ (2008), das zwei Mal die goldene Schaltplatte erhielt, und ein Album für Amal Bent, das Platinstatus erreichte.

Auf seinem Weg zum Erfolg als internationaler Produzent war es laut Keßler mehrfach der Zufall, der seine Promo-Arbeiten in die Hände der richtigen Manager und Künstler brachte und ihm so zum Erfolg verhalf. Keßler finanziert sich über Honorare, aber auch über Ausschüttungsbeteiligungen an den Gema-Einnahmen der von ihm produzierten Musik. Im Falle der Gema-Vergütungsvariante muss er häufig jedoch viel Geduld mitbringen, bevor er den Lohn für seine Arbeit erhält: Bei ausländischen Produktionen kann es bis zu drei Jahren dauern, bevor die Gema die ersten Auszahlungen tätigt.

Zunehmend spürt Keßler den Druck der steigenden Digitalisierung. Immer mehr Produzenten drängten auf den Markt, da sich mit modernen Programmen immer leichter Musik produzieren ließe. Außerdem mache sich bemerkbar, dass für einige von ihnen Geld dabei keine Rolle spiele. Sie produzierten um den Willen der Bekanntheit und nicht, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Obgleich die Verkäufe im Hip-Hop-Segment, für das Keßler vornehmlich produziert, gut sind, versucht er aktuell mit seinen Produktionen ins Pop-Geschäft einzusteigen. Hieraus erhofft er sich eine bessere geschäftliche Aufstellung. Im Vergleich zu Hip-Hop-Produktionen, für die er oft nur die Beats liefert, gestalten sich Pop-Produktionen als größere Herausforderung bzw. größeres finanzielles Risiko. Die Künstler bzw. Plattenfirmen muss der Produzent im Pop-Bereich häufig mit vollständig ausgearbeiteten Stücken, von den Instrumenten bis zum Gesang, beliefern – ohne Abnahmegarantie.

Keßler ist in der Chemnitzer Musik- und Produzentenszene kaum vernetzt. Die Chemnitzer Musikszene, wie etwa das einstige splash! Festival, haben ihn in seiner Musikkariere kaum geprägt. Chemnitz schätzt er als Lebensmittelpunkt, da er hier die Ruhe hat, die er für seine Arbeit braucht.

Ruth Petrovitsch absolvierte eine Ausbildung zur Violinistin an einer Musikhochschule. Sie ist frei schaffende Musikerin, spielt u. a. im MDR-Orchester in Leipzig, unterrichtet an der Chemnitzer Musikschule und ist Mitglied im ensemble 01.

Petrovitschs Arbeitsalltag ist bis ins kleinste strukturiert. Stets muss sie ihr Familienleben in Einklang mit ihren Auftragsarbeiten bringen. In Orchesterphasen beginnt ihr Arbeitstag um 9.30 Uhr mit Proben in Leipzig, am Wochenende stehen Konzertauftritte an. Außerhalb der Orchesterzeit gibt sie nachmittags Musikschulunterricht und probt zudem täglich zwei bis drei Stunden.

Eine Festanstellung hatte Petrovitsch noch nie. Während ihres Studiums war sie als Praktikumsmusikerin tätig. Nach ihrem Studium kamen Engagements in Orchestern als reguläre Violinistin hinzu. Seit 1998 arbeitet sie immer in Zeitverträgen bei verschiedenen Orchestern. Zwar liegt der Verdienst als Orchestermusikerin höher als bei ihrer Musikschultätigkeit. Die Arbeit als Musikschullehrerin übt sie dennoch mit Freude aus, da sie das Leuchten in den Augen der Kinder als hohen Lohn erachtet. Zugleich räumt sie aber auch ein, dass ihre Orchesterengagements ihr eben auch jene Freiheit gewähren, die Arbeit als Musikschullehrerin zu genießen, da sie sich finanziell gut abgesichert sieht.

Die Entscheidung, sich vor vielen Jahren in Chemnitz niederzulassen, erachtet Petrovitsch als Glück. Schließlich habe Chemnitz ein ausgezeichnetes Orchester. Außerdem seien die Lebenshaltungskosten in Chemnitz sehr gering. Im Gegensatz zu manchem Kollegen etwa in Paris, müsse sie mit ihren Engagements nicht ums Überleben kämpfen. Hinzu komme, dass die Auftragslage in der Stadt gut sei. Dies liege u. a. daran, dass der Pool an ausgebildeten Musikern in Chemnitz klein sei, da es keine Musikhochschule gibt. Obwohl Petrovitsch ihre Arbeit liebt, liebäugelt sie manchmal mit einem 08/15-Arbeitsalltag, der „klassische“ Arbeitszeiten von 8 bis 17 Uhr mit sich bringen würde. Denn schließlich spiele sie häufig, wenn andere Feierabend haben.

André Dettmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Maschinenbau der Technischen Universität Chemnitz und Mitglied der Indie-Post-Rock-Band Playfellow.

Da auch die übrigen Mitglieder von Playfellow voll berufstätig sind und der Schlagzeuger mittlerweile in Berlin lebt, hat sich die Band in eine Wochenendband gewandelt. Laut Dettmann gelingt es Playfellow dennoch, in der Musik das gleiche hohe Niveau von früher zu halten. Durch den Zeitdruck habe sich die Band selbst professionalisiert und schöpfe die vorhandenen Ressourcen effizient aus.

Weiterhin besteht bei Playfellow auch der Wille, ein neues Album aufzunehmen und auf Tour zu gehen. Trotz allem möchten sich die Bandmitglieder nicht so weit professionalisieren, dass sie letztlich von der Musik ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten. Die Band ist für sie viel mehr ein kostenintensives Hobby. Dass sich die Band auf dem Musikmarkt trotz ihrer Qualität bisher nicht durchsetzen konnte, ist dem Musiker nicht wichtig. Da man eben nicht das Ziel verfolge, wirtschaftlich sein zu müssen, müsse man auch niemandem Gefallen. Für ihn zähle die Musik mit seiner Band aus dem Gefühl und dem Herzen heraus zu machen.

Dettmann schätzt an Chemnitz, dass es eine kleine, überschaubare Musikszene gibt, in der es leicht ist, mit anderen Musikern in Kontakt zu kommen, die sich gegenseitig unterstützen und auch gerne mal gemeinsam in den verschiedenen Bars der Stadt bei einem Bier am Tresen stehen. Zudem sei die überschaubare Musikszene auch ideal, da es sich leicht in Kontakt mit Konzertveranstaltern kommen ließe.

In den beiden Bandwettbewerben, die in Chemnitz existieren, sieht Dettmann für Nachwuchsbands eine gute Bühne. Sie könnten diese nutzen, um Präsenz zu zeigen und ihren Bekanntheitsgrad zu steigern. Auch die Idee des Musikkombinats am Brühl, in dem neben Playfellow etwa 40 weitere Bands Proberäume haben, hebt er mit Blick auf Nachwuchsbands als positiv hervor. Hier gäbe es viele Möglichkeiten das Gemeinschaftsgefühl voranzutreiben – etwa bei gemeinsamen Grillabenden – bei denen alle Bands vom gegenseitigen Kennenlernen und Austausch profitieren könnten.

Therese Morich aka Djane Tereza studiert an der Technischen Universität Chemnitz Wirtschaftsmathematik und wird international als DJane gebucht. 2009 lernte sie bei Dirk Duske in der Musikschule Chemnitz das Auflegen. Seitdem steht sie täglich mehrere Stunden an den Plattentellern. An sich selbst stellt sie den Anspruch, technisch sauber zu arbeiten und einzigartige Scratches zu beherrschen. Morich ist überzeugt, dass Qualität der Startpunkt ist, um sich im Musikgeschäft etablieren zu können. Letztlich ist sie sich aber nicht sicher, ob Qualität alleine sich durchsetzt. Genauso wichtig wie die Qualität sei die Vermarktung. Als Musiker müsse man seine eigene Qualität publik machen und so die eigene Reichweite erhöhen.

Morich glaubt, dass man als DJane sowohl Vor- als auch Nachteile im Musikgeschäft hat. In der Anfangszeit bekommt man zwar mehr Aufmerksamkeit, aber oftmals würden DJanes gerade anfangs eher aufgrund ihrer weiblichen Attribute gebucht und nicht aufgrund ihrer musikalischen Qualitäten. Habe man schließlich ein gewisses musikalisches Niveau erreicht, sie es dann umso schwerer sich durchzusetzen. Djane Tereza hat aber mittlerweile durch Qualität überzeugt. Zu Beginn ihrer Kariere wurde sie von Chemnitzer Clubs gebucht. Seitdem sie jedoch bei splash! Booking unter Vertrag ist, spielen Aufträge aus Chemnitz für sie keine Rolle mehr. Letztlich sei die Zahl potentieller Auftraggeber hier sowieso sehr begrenzt.

Durch Mund-zu-Mund-Propaganda hat sie sich einen Namen im Musikgeschäft gemacht und wird mittlerweile auch von Unternehmen, wie etwa adidas gebucht. Für adidas legte sie etwa auch schon bei der Fashion Week in New York auf. Therese Morich kann gut von ihren Aufträgen leben. Trotz Zeitstresses will sie unbedingt ihr Studium abschließen. In der Zukunft möchte sie nicht zwingenderweise nur im Musikgeschäft tätig sein. Sie kann sich auch vorstellen, eine Anstellung als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer Universität anzunehmen.

Morich mag Chemnitz – umso mehr sie unterwegs ist, desto mehr kann sie die Stadt schätzen. In der Stadt vermisst Morich jedoch die kreativen Impulse, die sie so dringend für ihre Arbeit braucht. So fehle es an ausreichenden Möglichkeiten zum Ausgehen. Außerdem sei das musikalische Angebot zu begrenzt. Zu selten würden in Chemnitz gute Bands oder DJs gebucht. Dies führt sie u. a. darauf zurück, dass die Chemnitzer zu wenig Interesse an guter Musik haben bzw. nicht gewillt sind für qualitativ hochwertige Acts auch angemessen zu bezahlen.

Thomas Rebsch ist u. a. Veranstalter der Treibsand Open-Airs und Mitbetreiber der Spinnerei Chemnitz. Rebsch kommt ursprünglich aus einer Stuttgarter Diskotheken-Familie. In seiner Jugend hat er bereits alle Gastro-Bereiche durchlaufen. Seine Devise: Um als Veranstalter erfolgreich sein zu können, muss man Lust darauf haben, für seine Gäste eine eigene, neue Welt aufzubauen. Er selbst ist fasziniert davon, Menschen glücklich zu machen und fühlt sich im Veranstaltungsbereich sehr wohl

Rebsch studierte in Mittweida. Nach einem Jahr in Bayreuth entschied er sich bewusst dafür, wieder nach Sachsen zurückzukehren, da ihm der sächsische Charme fehlte. Die Entscheidung für Chemnitz, war eine wirtschaftliche. Den Markt in Leipzig und Dresden erachtete er für Techno-Veranstaltungen bereits als gesättigt. Er war überzeugt, dass er mit einem weiteren Technoformat dort keine Chance gehabt hätte. Seine Marktanalyse ergab: In Chemnitz war Platz für ein Techno-Format.

Der Veranstalter hatte früher große Visionen für Chemnitz. In den letzten Jahren hat er seinen Angaben nach jedoch viel Lehrgeld bezahlt und daher etwas resigniert. Früher führte er Veranstaltungen durch, die schon einmal 7000 Euro Produktionskosten hatten. Er musste jedoch häufig feststellen, dass trotz der hohen Qualität der Acts, die Chemnitzer nicht bereit sind 15 bis 20 Euro an der Abendkasse zu bezahlen. Die Schmerzensgrenze für Eintrittsgelder liegt laut Rebsch beim Chemnitzer Publikum bei 10 Euro. Rebsch findet es in Ordnung, Kultur- und Musikveranstaltungen kostenfrei anzubieten. Seiner Meinung nach gibt es aber „Prime-Time“-Grenzen. So ist er dagegen, Veranstaltungen an einem Samstagabend für weniger als 5 Euro Eintrittsgeld anzubieten, da oftmals viel Herzblut in die Organisation von Veranstaltungen fließe und diese nicht unter Wert verkauft werden dürften. Zudem müssten Künstler wenigstens im Ansatz angemessen bezahlt werden.

Doch nicht nur die fehlende Bereitschaft bei vielen Chemnitzern für qualitativ hochwertige Musik auch den entsprechenden Preis zu bezahlen schätzt Rebsch als Herausforderung ein. Ein weiterer Faktor, der sich im Veranstaltungsbereich kritisch auswirke, sei die demographische Situation der Stadt. Zwar gebe es eine bestimmte Grundmasse, die abends ausgehe, aber irgendwann sei die kritische Masse erreicht. Hinzu käme, dass nur wenige Dresdener oder Leipziger bereit seien, für Musikveranstaltungen nach Chemnitz zu fahren. Als Veranstalter sei man so eben auch durch ein strukturelles Problem in seinen Visionen beschränkt.

Trotz aller Schwierigkeiten bei der Durchführung von Veranstaltungen fühlt sich Rebsch in Chemnitz wohl und möchte mit seinen Formaten weitermachen.

 

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion legteDJane Cath Boo auf. Cath Boo ist Mitglied im Netzwerk dieda, das die Zusammenarbeit unter Chemnitzer Künstlerinnen vorantreiben möchte.

Ein herzliches Dankeschön geht noch einmal an alle Diskutanten und Gäste, Cath Boo fürs Auflegen, Daniela Schleich für die Fotografien und natürlich der Spinnerei Chemnitz für die charmante Lokation und die Unterstützung im Vorfeld der Veranstaltung.

Berichterstattung:

Wurschteln mit Glücksfunken, Freie Presse (15.07.2014)

Zwischen Job und Beats: Musiker fahren zweigleisig, Freie Presse (16.07.20014)

Chemnitzer Musikszene diskutiert, Sachsen Fernsehen (15.07.2014)

Audio-Auszug, Radio T (14.07.2014)

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Bilder: Daniela Schleich Fotografie